Wie sich der Abgasskandal weiter ausweitet

Die Deutsche Umwelthilfe hat die Stickoxid-Werte eines Reanult Megane überprüft. Wie schon im Oktober bei einem Opel stieß der Umweltverband auf Unbereimheiten - der Stickoxid-Ausstoß scheint sich von verschiedenen Prüfmodi beeinflussen lassen. Foto: Umwelthilfe

Die Deutsche Umwelthilfe hat die Stickoxid-Werte eines Renault Espace überprüft. Wie schon im Oktober bei einem Opel stieß der Umweltverband auf Ungereimheiten – der Stickoxid-Ausstoß scheint sich von verschiedenen Prüfmodi beeinflussen lassen. Foto: Umwelthilfe

Der Schwung aus der Debatte um den Abgasskandal von Volkswagen ist in den vergangenen Wochen kaum verloren gegangen. Nach einer großen Erregungswelle über mehrere Wochen lief die öffentliche Debatte mit fast täglich neuen Meldungen weiter. Langsam, aber kontinuierlich breitet sich der Skandal aus. Für den Alltag haben die täglichen Tickermeldungen wenig Relevanz. Doch ob der große Knall noch kommt und der Betrug bei Volkswagen vielleicht nur ein Vorbote war, kann heute noch niemand beurteilen. Während die CO2-Werte bisher überprüfbar waren, galt bei den Schadstoffen der Vertrauensvorschuss gegenüber den Herstellern. Doch über die die Jahre könnten Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher getäuscht worden sein. Was Umweltverbände derzeit messen, trägt nicht zur Beruhigung bei.

Ein Rückblick auf eine turbulente Woche

Am Montagabend hat auch Audi eingeräumt, dass die Software von Fahrzeugen manipuliert worden ist. Am Dienstagvormittag legte Porsche nach: 13.000 Geländewagen des Stuttgarter Autobauers sind manipuliert worden. Es geht um die größeren Motoren. Währenddessen streiten sich das Bundesverkehrsministerium und der Tüv Nord öffentlich darüber, ob die Prüfgesellschaft zu wenige Möglichkeiten für die Untersuchung von Fahrzeugen hat, oder ob es Versäumnisse gab.

Umweltverbände klopfen den Autokonzernen unterdessen immer wieder auf die Finger, dafür müssen wir etwas weiter zurückschauen: Die Deutsche Umwelthilfe hatte Ende Oktober die Abgasemissionen eines Opel Zafira untersuchen lassen und den Rüsselsheimer Autobauer damit unter Druck gesetzt. Die Abgasprüfstelle der Berner Fachhochschule kommt in ihrem Prüfbericht zu dem Ergebnis:

„Die Messresultate zeigen, dass das Fahrzeug sich anders verhält, wenn der Rollenprüfstand im 4- oder 2-Rad Modus betrieben wird.“

Darüber hinaus wurde eine weitere Besonderheit festgestellt, wenn sich die Hinterräder nicht drehen: Bei einer kontinuierlichen Erhöhung der Geschwindigkeit auf 150 Stundenkilometer stiegen die Stickoxid-Emissionen laut Umwelthilfe schlagartig an und überschritten sogar die Messskala des Analysegerätes. Im Prüfgutachten heißt es dazu:

„Das Verhalten könnte durch eine Abschaltung der AdBlue-Dosierung erklärbar sein. Ein ähnliches Verhalten war während des 4-Radantriebmodusbetriebs nicht feststellbar.“

Opel zog mit eigenen Tests nach. In einer schriftlichen Stellungnahme schrieb der Konzern:

„Opel hat im Beisein des TÜV Hessen einen Zafira mit 1,6-Liter-Dieselmotor einer Abgasmessung auf einem Vier-Rollen-Prüfstand unterzogen, bei welcher die Hinterräder betrieben werden. Hierbei wurden gesetzeskonforme Abgaswerte erzielt. Opel sieht damit seine Position bestätigt und weist die Behauptungen der Deutschen Umwelthilfe nochmals scharf zurück. Die Anschuldigungen sind eindeutig falsch und unbegründet.“

Doch die Deutsche Umwelthilfe blieb bei ihren Vorwürfen. Es gäbe „klare Indizien“ für ein vorsätzliches Handeln, sagte darauf Jürgen Resch, Geschäftsführer der Umwelthilfe auf Nachfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Wer Recht hat, blieb damit zuletzt unklar. Die Kundinnen und Kunden bleiben ratlos zurück.

Gleiches Spiel bei einem Renault Espace

Am Dienstag, um wieder auf diese Woche zu sprechen zu kommen, hat die Deutsche Umwelthilfe noch mal nachlegt. Diesmal traf es ein französisches Unternehmen. Bei einem Opel Espace mit Euro-6-Diesel fielen die Werte vor allem mit warmem Motor aus dem Rahmen.

„Nur wenn er in einer ganz bestimmten Form auf die am Folgetag stattfindende Prüfung vorbereitet wurde, bestand er diese mit Bravour. Alle Abweichungen in der Vorkonditionierung beziehungsweise Tests mit warmem statt kaltem Motor führten zu Dieselabgaswerten, die wir in dieser Höhe noch nie gemessen haben“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Eine Stellungnahme von Renault wird vermutlich in den nächsten Tagen folgen. Dass sie widersprechen ist zu erwarten. So kommt aber niemand weiter.

Und dann schien plötzlich die Lösung für die Nachrüstung bei den Volkswagen erstaunlich einfach zu sein. Volkswagen hatte am Mittwoch eine wohl bereits vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene Lösung präsentiert, wie der Konzern die manipulierte Abgasreinigung der 1,6 Liter Dieselmotoren nachrüsten will. Neben einem Software-Update soll ein einfaches Plastikgitter in einen Lufteinlass verbaut werden. Die Deutsche Umwelthilfe bezweifelt die ausreichende Wirksamkeit dieser Lösung. Geschäftsführer Jürgen Resch:

„Einmal mehr versucht der größte Autobauer in Europa, Politik und Verbraucher für dumm zu verkaufen. In den USA rechnet VW für dieselben Motoren mit mehreren hundert Euro Kosten für den Einbau wirksamer Katalysatoren sowie fünf bis zehn Stunden Arbeitszeit pro Fahrzeug. Für einen Teil der Fahrzeuge hält VW die Instandsetzung der Abgasreinigung für technisch nicht machbar und will die Fahrzeuge zurückkaufen. Mit einem Plastikteil für zwei Euro fünfzig wird es nicht gelingen, die Motoren vergleichbar sauber zu bekommen wie in den USA. Wenn es so einfach wäre, warum gibt es dann den Abgasskandal?“

Die Frage ist richtig. Wenn es so einfach gewesen wäre, hätte es den Abgasskandal gar nicht geben dürfen. Und wenn es so einfach ist, dann ist bei Volkswagen noch mehr schief gelaufen, als man sich vorstellen kann. Ein unnötiger Betrug dieses Ausmaßes wäre völlig absurd.

Was den Autobauern noch droht

Der eine zieht, der andere lässt nicht los. Die Umweltverbände scheinen gegen die Windmühlen der Autokonzerne anzurennen. Ratlos bleiben die Verbraucherinnen und Verbraucher zurück. Natürlich haben die meisten Leute schon lange verstanden, dass die Papierwerte der EU-Prüfzyklen nicht viel wert sind. Kaum ein Autokäufer dürfte glauben, dass die versprochenen Verbrauchswerte im Alltag einzuhalten sind. Das ist ärgerlich, aber kann man es einrechnen. Wer auf Nummer sicher gehen will, testet ein Fahrzeuge umfassender. An der Tankstelle kann man Verbrauch und damit den CO2-Ausstoß selbst nachvollziehen. Da alle Unternehmen mit ähnlichen Tricks arbeiten, gibt es immerhin eine grobe Vergleichbarkeit. Und ob die Schadstoffwerte analog der Verbrauchswerte mal um 30 Prozent daneben liegen: So ärgerlich wie der hohe Verbrauch, aber natürlich logisch.

Bei den Schadstoffen gilt das aber nicht. Die bisherigen Messungen unter anderem von der Umwelthilfe zeigen ja, dass die Höhe nicht analog mit dem Verbrauch ansteigt. Wie hoch die Schadstoffe ausfallen, kann man nicht am Verbrauch messen. Und man kann es auch nicht selbst messen. Wenn zum Beispiel die Umwelthilfe selektiv das ein oder andere Fahrzeug testet, legt das den Finger in eine offene Wunde, aber es gibt keine allgemeingültigen Ergebnisse oder Regeln für alle. Ende September hat das Kraftfahrtbundesamt mit eigenen Messungen an rund 50 verschiedenen Autos begonnen. Welche Fahrzeuge untersucht werden, ist am Ende des Artikels aufgelistet.

Erst diese Tests werden klar machen, ob der Abgasskandal sich auf künftig nur langsam weiter vergrößert, oder ob der eigentlich Knall noch aussteht. Das ist nicht die unwahrscheinlichste Möglichkeit: Es gibt wohl schon erst Ergebnisse, bei denen es laut Kraftfahrtbundesamt erhöhte Stickoxidwerte bei den Rohdaten gab.

„Auf Basis von Rohdaten wurden bisher zum Teil erhöhte Stickoxidwerte bei unterschiedlichen Fahr- und Umgebungsbedingungen festgestellt. In Gesprächen mit betroffenen Herstellern und Genehmigungsbehörden werden diese Daten weiter evaluiert. Erst danach liegen rechtlich belastbare Ergebnisse vor.“

Das war am 11. November 2015. Etwa zwei Drittel der Messungen waren damals durchgeführt. Ergebnisse gibt es allerdings noch nicht. Ökoalltag wollte vom Kraftfahrtbundesamt wissen, wann die Ergebnisse vorliegen. Pressesprecher Stephan Immen schreibt:

Die im September 2015 begonnene Felduntersuchungen von verschiedenen Fahrzeugmodellen der Volumenhersteller dauert an. Nach Abschluss der Untersuchungen und der notwendigen Evaluation der Ergebnisse wird ein rechtlich belastbares Gesamtergebnis vorliegen, dessen Veröffentlichung vorgesehen ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen dafür jedoch keinen Termin nennen. Ich bitte um Verständnis.

Jetzt warten die Skeptiker auf den großen Knall und die Autohersteller auf einen entlastenden Persilschein. So lange die Ergebnisse nicht vorliegen, dreht sich weiter alles im Kreis. Auch nächste Woche.

Übersicht der Marken und Modelle in der Nachprüfung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA)

Stand 11. November 2015

Pkw deutscher Hersteller

Audi BMW Ford Opel
Audi A6 BMW 3er Ford Focus Opel Astra
Audi A3 BMW 5er Ford C-Max Opel Insignia
BMW Mini Opel Zafira
Mercedes Porsche Smart VW
Mercedes C-Klasse Porsche Macan Smart Fortwo VW Golf
Mercedes CLS VW Beetle
VW Passat
VW Touran
VW Polo
VW Golf SportsVan
VW Touareg

Nutzfahrzeuge deutscher Hersteller

Mercedes VW
Mercedes Sprinter VW Crafter
Mercedes V-Klasse VW Amarok

Pkw ausländischer Hersteller

Alfa Romeo Chevrolet Fiat Dacia Hyundai
Alfa Romeo Guilietta Chevrolet Cruze Fiat Panda Dacia (Motortyp SD) Hyundai iX35
Fiat Ducato Hyundai i20
Honda Jeep Land Rover Mazda Mitsubishi
Hond HR-V Jeep Cherokee Land Rover Evoque Mazda 6 Mitsubishi ASX
Nissan Peugeot Renault Toyota Volvo
Nissan Navara Peugeot 308 Renault Kadjar Toyota Auris Volvo V60

(Quelle: Kraftfahrtbundesamt)

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