Ausflug auf einem Sofa – Das E-Bike Victoria Frankfurt im Alltagstest

Bequem aber ohne Senioren-Image: Das Victoria Frankfurt ist ein solider Vertreter aus der Klasse der gemütlichen E-Bikes. Mittlerweile ist es abgelöst worden.

Bequem aber ohne Senioren-Image: Das Victoria Frankfurt ist ein solider Vertreter aus der Klasse der gemütlichen E-Bikes. Mittlerweile ist es abgelöst worden.

Es fährt sich wie ein Sofa: Das E-Bike „Frankfurt“ von Victoria. So aufrecht, so bequem gefedert und so gemächlich in der Leistungsentfaltung. Bequemer geht es kaum. Allerdings auch kaum langsamer. Wer mit dem mittlerweile von einem Nachfolger abgelösten Panasonic-Antrieb pedaliert, hat nur das Gefühl, dass er bequemer vorankommt. Wirklich Schneller ist man damit höchstens an Steigungen. Und auch dort hat man oft das Gefühl, man fährt halt unangestrengt, nicht schneller. Im Test konnte sogar ein älteres, einfaches Fahrrad ganz gut mithalten. Allerdings für den Preis von etwas Atemlosigkeit und mehr Schweiß. Beim Smart E-Bike wäre das so nicht gelungen.

Das Victoria Frankfurt steht im Konzept-Vergleich für eine gemütliche Reise von A nach B. Nach den ersten zwei Fahrten hätte ich das Rad am liebsten sofort zurückgeben. Weil es so langsam wirkt. Für wen es nicht entscheidend ist, ob er drei Minuten schneller am Ziel ist, kann so slow-biken aber der richtige Anspruch sein. Wer im Meditieren Ruhe finden kann, wird sie auch auf dem Victoria Frankfurt finden. Denn es fährt sich darauf sehr entspannt. Daran muss man sich aber eine Weile gewöhnen. Am Anfang habe ich noch versucht, auf der Ebene über 25 Stundenkilometer zu kommen. Erst als ich das mangels vernünftiger Kraftübertragung aufgegeben hatte und mir ein bisschen mehr Zeit für Fahrten genommen hatte, begann der Spaß mit dem Victoria Frankfurt.

Allerdings trübt ein bockiges Anfahrverhalten die Freude mit dem Fahrrad auf den ersten Kilometern sehr. Sobald ein Fuß zu stark auf die Pedale drückt, startet der E-Motor. Eine leichte Verzögerung wie beim Smart E-Bike gibt es nicht. Das bedeutet, dass man nicht mit einem Fuß auf dem Pedal startbereit an der Ampel stehen kann. Und langsames Umzirkeln von Fußgängern oder Gleisüberwegen ist heikel. Langsames Antreten ist kaum möglich – sofort schiebt der Motor los. Das mag auf freien Strecken nett sein, im Stadtverkehr nervt es nur. Selbst beim Anhalten kann das stören: Wenn man abbremst und beim Absteigen das Pedal belastet, macht das Fahrrad einen kleinen Satz – zumindest wenn die Bremsen nicht beide gezogen sind. Immerhin lässt sich das alles vermeiden, wenn man den Motor an solchen Stellen abschaltet. Für die Stadt ist das aber ein echter Knackpunkt.

Beim Victoria Frankfurt muss man eine neue Fahrweise einüben

Die Energieanzeige am Display ist nur ein grober Anhaltspunkt. Genauer wird es am Akku selbst. Das reicht vollkommen. Gut: Das System lässt sich auch während der Fahrt ein und ausschalten. Außerdem ist es sofort in Betrieb.

Die Energieanzeige am Display ist nur ein grober Anhaltspunkt. Genauer wird es am Akku selbst. Das reicht vollkommen. Gut: Das System lässt sich auch während der Fahrt ein und ausschalten. Außerdem ist es sofort in Betrieb.

Im Vergleich zum Smart E-Bike muss man die Fahrweise komplett umstellen. Am besten pedaliert man sehr konstant. Man beschleunigt also nicht wie sonst, sondern überlässt diesen Part zum größten Teil dem Elektromotor. Erst wird im leichten Gang pedaliert, dann in einem mittleren und schließlich im schwereren, wie er zur Steigung passt. Die Nexus-Nabenschaltung unterstützt dieses Fahrverhalten. Die acht Gänge sind für das Fahrrad absolut ausreichend. Die Spreizung der Gänge passt gut. Den achten Gang zum Beispiel braucht man nur auf Gefällstrecken. Auf der Ebene ist der siebte Gang oft ausreichend lang. Man fährt ja jetzt nicht mehr so schnell. Dass die Schaltung – typisch Nabe – nicht unter Belastung arbeitet, hat weniger gestört, als die teils nicht präzisen oder langwierigen Schaltvorgänge. Zudem muss die Entlastungsphase sehr lang sein, damit auch der Elektromotor nicht für die blockierende Belastung sorgt.

Was Akkureichweite oder tatsächliche Geschwindigkeiten angeht, fehlt mangels Tacho eine Datengrundlage. Die Akkuanzeige ist mit drei Balken nicht mehr als ein Schätzeisen. Erfahrene Panasonic-Nutzer berichten von Reichweiten um die 60 Kilometer in der Stadt. Das ist ausreichend und dürfte dem betulichen Charakter des Motors zu verdanken sein. Auch der Alltagstest von Ökoalltag kam auf ähnliche Ergebnisse. Und das trotz meist hoher Unterstützungsleistung. Ans Ladegerät hängt man den Akku dann aber doch teilweise etwas früher als nötig, denn liegen bleiben möchte man mit dem Fahrrad auch auf kurzen Strecken nicht. Wegen der bequemen Sitzposition ist es nur mit viel Mühe möglich, das Fahrrad ohne Elektrounterstützung zu fahren. Das liegt vor allem an der gemütlichen, aufrechten Sitzposition. Damit ist es schwer, die Kraft auf die Pedale zu bringen. Wer mit dem Fahrrad nicht gemütlich fahren will, kommt schnell ins Schwitzen. Aber das treibt einem das Fahrrad nach ein paar Tagen aus.

Damit ist auch die größte Schattenseite im Alltag benannt: Das Fahrrad kann nur gemütlich. Schnell geht es damit auf der Ebene nur mit irrer Pedalkraft. Für schnelle Kurven ist die Geometrie nicht gemacht und die tief liegenden Pedale verbieten ein Treten in Kurven schon bei recht geringen Geschwindigkeiten. Wer nicht die nötige Ruhe hat, sollte die Finger vom Konzept des Slow-Bikes lassen. Slow-biken ist aber mehr eine Gefühlssache. So schnell wie mit einem zumindest ambitioniert Fahrstil schwebt es sich auch mit dem rollenden Ruhepol durch die Stadt – nur auf längeren Ebenen fällt man etwas zurück.

Evolution der Antriebe hat spürbare Entwicklungsstufen

Gut verpackt und damit anzugstauglich: Die Kette; abspringen sollte sie allerdings während der Fahrt nicht.

Gut verpackt und damit anzugstauglich: Die Kette; abspringen sollte sie allerdings während der Fahrt nicht.

Das erinnert an den ersten E-Bike-Test von mir aus dem Jahr 2008. Damals war das Fahrrad ein Senioren-Modell im Stil eines Hollandrades, das einen Frontmotor hatte. Das hat nur erkannt, ob sich die Pedale überhaupt drehen und immer voll beschleunigt. Das bedeutet, dass immer die Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometer angepeilt wurde. Das mag auf längeren, freien Strecken nett sein, im Alltag einer Stadt funktioniert das überhaupt nicht. Zwar ist der Panasonic-Antrieb besser, aber an einigen Stellen geht noch ein bisschen was. Panasonic war Vorreiter und ist technisch sehr solide. Deshalb war auch für Victoria die Auswahl an Zulieferern nicht so groß. Das hat sich geändert und spiegelt sich jetzt auch im Programm des Fahrradherstellers wider. Dort gibt es mittlerweile Antriebe von Bosch, Tranz X, Shimano und Impulse 2.0. Die Evolution der Elektroantriebe schreitet mit weiter spürbaren Stufen voran. Wie ausgereift die Technik auf dem heutigen Stand ist, darf der Bosch-Antrieb des nächsten Fahrrades beweisen. Victoria jedenfalls setzt heute mehr auf Bosch-Antriebe als auf Panasonic.

Während die Frage nach der Sportlichkeit des Rades eher eine persönliche Frage ist, macht sich das mangelnde Feingefühl beim Anfahren bei jedem bemerkbar. In diesem Licht hat der homogene Bionx-Antrieb seine Nase weit vorne. Er fährt sich wie ein normales Fahrrad: Wer mit Muskelkraft stark beschleunigt, wird dank Motorunterstützung deutlich schneller bei höheren Geschwindigkeiten landen. Wer allerdings nur sanft beschleunigt, ruft auch nur einen entsprechend kleinen Teil der Motorleistung ab. Das fühlt sich deutlich besser an. Hätte Smart beziehungsweise Bionx nicht bei der Reichweite einen der wesentlichen Faktoren im Alltag vermasselt, läge jetzt nicht das Victoria Frankfurt vorne – wenn man es nicht eilig hat.

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Alle Fotos: Ökoalltag.de

Technische Daten Victoria Frankfurt

Rahmen: Aluminium
Rahmenhöhe: 45, 50 oder 55 cm (28-Zoll-Räder)
Schaltung: 8-Gang-Shimano „Nexus“ RBN
Bremsen: Shimano Alu-V-Felgenbremsen
Federung: Federgabel einstellbar / Federsattelstütze
Beleuchtung: Trelock „Uni“ LED-Scheinwerfer mit Standlicht
Trelock „Trio“ Rücklicht mit Standlicht
Reichweite: zwischen 45 und 115 Kilometer
Motorleistung: 250 Watt
Motorposition: Mittelmotor
Akku: Lithium-Ionen
Wattstunden: 475 Wh
Akku-Daten: 36 V – 13,2 Ah
System: Panasonic
Unterstützungsstufen: 3 Stufen
Anfahrhilfe: ohne
Schiebehilfe: ohne
Gewicht: ab 27,4 kg

Quelle: Katalog Victoria

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