Interview zum Radfahren im Winter: „Glätte, Spurrillen und festgefahrener Schnee sind das Problem“

Ökoalltag wollte wissen, wie man im Winter mit dem Fahrrad auch bei Schnee und Glätte möglichst sicher unterwegs ist. Beim RADlager Tübingen kaufen etliche Ganzjahresfahrer ein. Fahrradexperte Gernot Epple erklärt im Interview, warum eigentlich nur Spike-Reifen in Frage kommen.

Ökoalltag: Gibt’s für Fahrräder eigentlich auch richtige Winterreifen, wie man sie vom Auto kennt?

Gernot Epple war 33 Jahre in der Fahrradbranche aktiv. Foto: privat

Gernot Epple war 33 Jahre in der Fahrradbranche aktiv – zuletzt beim RADlager in Tübingen. Foto: privat

Gernot Epple: Ja, es gibt ja Spike-Reifen, wie man sie zumindest von früher vom Auto kennt. Der Spike-Reifen ist klar die sicherste Lösung. Beim Zweirad gibt es auch keine  richtig gute Alternative. Abgesehen von Skandinavien und Österreich sind Spike-Reifen heute  an Kraftfahrzeugen bei uns verboten. Das allerdings gilt nicht für zulassungsfreie Fahrräder. Alle Fahrräder also inklusive Pedelecs dürfen mit Spike-Reifen ausgerüstet werden. In der Konsequenz bedeutet das allerdings auch, dass zulassungspflichtige E-Bikes, also die schnellen Räder mit Versicherungsschild, nicht ausgestattet werden dürfen.

Wie viel kostet so ein Spike-Reifen ungefähr?
Um die 50 Euro. Es gibt auch etwas günstigere Modelle, die liegen um die 40 Euro etwa. Dabei kommt’s bei der Wahl drauf an, wie glatt es ist. Die günstigeren Modelle zieht man auch nicht ganz vergeblich auf – aber die für 50 Euro sind empfehlenswerter. Besondere Modelle für Mountainbikes etwa für Extrembedingungen können auch bei hundert Euro oder mehr liegen.

Und wie lange hält so ein Reifen dann ungefähr? Können die Spikes verloren gehen?

Die Metallstifte können je nach Fahrstil tatsächlich verloren gehen. Deshalb empfiehlt sich ein etwas ruhigerer Fahrstil, aber vor allem ein sachter Bremsstil auf trockener Fahrbahn. Das Rad auf trockener Fahrbahn zum Blockieren zu bringen ist ganz klar nicht opportun. Dabei könnten die Spikes rausfliegen. Im schlimmsten Fall könnten sich die Aufnahmen in den Reifen mit der Zeit verformen. Es gibt vom Marktführer Schwalbe einzelne Spikes nachzukaufen. Aber auch bei Nokia, heute Nokian,  gibt es das. Von denen sind mir 1983 auch die ersten Spike-Reifen unter die Augen gekommen. Die Finnen hatten einfach einen höheren Bedarf an Spikereifen. Und Nokia hatte eine Reifensparte, die auch Fahrrad-Spikereifen produziert hat.

Gilt beim Fahrrad wie beim Auto auch, dass im Idealfall vorne und hinten die gleichen Reifen drauf sind?

Ein klares Jein. Im Grenzbereich gilt immer, dass vorne der sicherere Reifen drauf sein sollte. Meistens ist die Traktion, also die Antriebsmöglichkeit hinten nicht das Hauptproblem, sondern eher die Sicherheit. Es geht darum nicht wegzurutschen. Und dabei ist der vordere Reifen wichtiger als der hintere. Wenn es allerdings richtig glatt wird, sollten natürlich beide richtig ausgerüstet sein. Man kann auch vorne einen Reifen mit stärkeren Spikes aufziehen als hinten.

Mit Spike-Reifen kann ich aber nur fahren, wenn es glatt ist?

Nein, auch im Hochsommer kann man fahren. Nur macht das nicht gerade viel Spaß: Der Rollwiderstand  steigt und man hat die typisch ‚nagelnden‘ Fahrgeräusche. Von vielen Kunden wird das bei uns so praktiziert wie beim Auto: Man zieht die Spike-Reifen zu einer bestimmten Zeit auf. Wir verkaufen zwar keine riesigen Mengen an Spikereifen. Aber obwohl das Wetter bisher nicht gerade winterlich ist, ist die Zahl der verkauften Spike-Riefen nicht signifikant runtergegangen. Meine Empfehlung: Wer noch ein älteres Schätzchen mit ordentlicher Bremse und einer guten Lichtanlage hat, kann das mit Spike-Reifen bestücken – und hoffen, dass der Winter nicht ganz so lange wird. Dann kann man einfach die Fahrräder wechseln. Das ist die ideale Lösung.  Oder man legt sich ein komplettes Vorderrad mit Spikes zu – der Wechsel ist dann ja vergleichsweise einfach. Beim Auto mache ich ja auch den Radwechsel und ziehe nicht selber den Reifen auf die Felge auf. Der Vorderreifen ist zur Not auch noch am Morgen vor der Fahrt gewechselt.

Also einen kurzen Boxenstopp vor der Arbeit quasi. In milderen Regionen wie etwa in Stuttgarts Kessellagen gibt es nur wenig Schnee. Hilft es, bei Schnee einfach den Reifendruck für mehr Gripp zu senken?

Grundsätzlich ist das richtig. Aber: Der Schnee ist gar nicht unser Problem. Die Glätte ist das Problem. Davor ist auch Stuttgart nicht gefeit. An Kaltluftschneisen kann es immer zu Reifbildung kommen. Und Reifglätte kann spiegelglatt sein. Und es ist egal, ob jemand wegen Reif oder Schnee auf der Nase landet. Im Gegenteil: Bei genügend Schnee fällt man nicht ganz so hart. Bei Tiefschnee brauchen wir auch keine Spikes. Da reicht ein ordentliches Profil. Glätte, Spurrillen und festgefahrener Schnee sind das grundsätzliche Problem. Und da lässt sich das Rad irgendwann nicht mehr sicher bewegen, wenn keine Spike-Reifen drauf sind.

Und was bringt der abgesenkte Reifendruck?

Den Reifendruck senkt man auch bei Spike-Reifen. Bei guter Witterung fährt man mit vollem Luftdruck, dann verschwinden die Spikes zumindest ein Stück weit. Und wenn man den Druck absenkt, greifen sie etwas stärker. Dabei gibt es aber eine Fußnote: Es gibt belastungsabhängige Grenzen, die auf dem Reifen stehen. Wenn man unter den Mindestdruck geht, kann der Reifen zerstört werden.  Kaputtgehen heißt auch, dass es ein Sicherheitsrisiko gibt: Er könnte einem bei einer Abfahrt um die Ohren fliegen. Die Spike-freien Reifen bringen nicht so viel. Sie sind aber besser als nichts. So was gibt es vor allem von Produzenten aus Fernost. In Deutschland, im Qualitätsbereich zumindest, ist das bei fast null. Die Firma Continental hat eine  spezielle  weichere Gummimischung zusammen mit  Lamellen im  Reifenprofil entwickelt.

Wie bei Winterreifen beim Auto auch?

Ähnlich. Durch Einschlüsse in der Gummimischung soll der Gripp verstärkt werden. Das ist wie eine Art Mikro-Spike, den man mit dem Auge gar nicht wahrnehmen kann. Es bringt nicht nichts, aber es ist dramatisch schlechter als ein Spike. Fährt sich schöner auf trockener Fahrbahn, kostet aber sogar eher mehr als ein Spike-Reifen.

Herr Epple, vielen Dank für das Gespräch.

Dieser Beitrag wurde unter Alltagstipp, Fortbewegung, Interview, Verbraucher, Wirtschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.