Abgasskandal: Abweichungen auf der Straße fallen auch unter Muster-Bedingungen hoch aus

420 Milligramm Stickoxid pro Kilometer und damit mehr als das doppelte des erlaubtes Wertes hat die Umwelthilfe bei Tests mit einer Mercedes C-Klasse nachgewiesen, wenn das Auto vorab nicht entsprechend präpariert wurde. Foto: Deutsche Umwelthilfe

420 Milligramm Stickoxid pro Kilometer und damit mehr als das Doppelte des erlaubten Wertes hat die Berner Fachhochschule bei Tests mit einer Mercedes C-Klasse gemessen, wenn das Auto seinen Meßzyklus auf der Straße absolvieren musste. Foto: Deutsche Umwelthilfe

In einer Stichprobe hat das ZDF einen Mercedes C200 CDI, einen BMW 320d und einen VW Passat 2.0 TDI Blue Motion untersuchen lassen. Bei gleicher Fahrweise auf der Straße stoßen sie viel mehr Stickoxide aus als bei demselben Fahrzyklus im offiziellen Labortest. Das zeigen Messungen der Abgasprüfstelle der Berner Fachhochschule im Auftrag des ZDF.

„Die Messresultate zeigen, dass die Fahrzeuge sich auf dem Rollenprüfstand anders verhalten, als wenn sie auf der Straße betrieben sind“, lautet das Fazit der Schweizer Abgasprüfstelle an der Berner Fachhochschule. Der stellvertretende Leiter der Prüfstelle, Pierre Comte, erklärt gegenüber dem ZDF, dass eigentlich bei gleicher Fahrweise wie im Labor auch auf der Straße zumindest ähnliche Ergebnisse zu erwarten seien. Die festgestellten hohen Abweichungen müssten von den Autoherstellern erklärt werden.

Besonders überraschend ist das auf den ersten Blick nicht. Messungen mit mobilen Geräten haben die Abweichungen schon mehrfach bestätigt. Allerdings seien die Bedingungen beim Test des ZDF kein normaler Verkehr gewesen – schließlich wurde der Fahryklus nachgestellt. Deshalb ist die Höhe der Abweichungen maßgebend – und die fielen ziemlich heftig aus. Wie ähnliche Tests beim Kraftfahrt Bundesamt ausfallen, wird jetzt mit Spannung erwartet. Dort bewegt sich aber seit einer Zwischeninfo am 11. November nichts mehr. Ökoalltag hatte nachfragt: Einen Zeitplan konnte das Amt nicht nennen.

Die Schweizer Abgasprüfstelle hat im Auftrag des ZDF drei Autos getestet: einen Mercedes C200 CDI Blue Efficiency (Erstzulassung 2011), einen BMW 320d (Erstzulassung 2009) und einen VW Passat 2.0 TDI Blue Motion (Erstzulassung 2011). Der VW Passat hat nach Auskunft des Herstellers eine illegale Abschaltsoftware verbaut, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf optimiert.

Alle drei Autos erzeugten auf der Straße ein Mehrfaches der NOx-Emissionen, die im Labor entstanden waren, bei gleicher Fahrweise und vergleichbarer Fahrbedingungen.

Alle drei Autos erfüllten bei dem offiziellen Abgas-Labortest in der Schweizer Prüfstelle die Abgasnorm Euro 5, die bei Stickoxiden NOx einen Grenzwert von 180 mg/km vorschreibt. Im Labortest wurde auf der Prüfstandrolle der gesetzlich vorgeschriebene Neue Europäische Fahrzyklus NEFZ gefahren und dabei die Abgasemissionen gemessen. Der BMW 320d und der Mercedes C200 CDI stießen dabei laut ZDF-Pressemitteilung jeweils 154 mg/km NOx aus, der VW Passat 127 mg/km. Alle drei Autos erfüllten damit die gesetzliche Norm.

Später fuhr derselbe Prüfstandfahrer der Schweizer Abgasprüfstelle mehrfach denselben computerunterstützen Fahrzyklus NEFZ auf einem stillgelegten Flughafengelände und mit Begleitung durch ein Sicherungsfahrzeug auf einem verkehrsarmen Autobahnteilstück. Die Abgasemissionen wurden dabei – anders als im Labor – mit einem mobilen Messgerät, einem sogenannten PEMS ermittelt. Bis heute hat noch niemand einen solchen Test unternommen und computergestützt den offiziellen Fahrzyklus auf der Straße nachgefahren.

Nach Abzug der höchsten Messabweichungen zwischen Labormessgerät und PEMS lag der NOx-Wert für den BMW 320d beim NEFZ auf der Straße laut ZDF bei 428 mg/km, das 2,8fache des Laborwerts. Der Mercedes C200 CDI soll bei dem NEFZ auf der Straße auf 420 mg/km NOx gekommen sein, das 2,7fache des Laborwerts, wiederum nach Abzug der höchsten Messabweichung zwischen PEMS und Labormessgerät. Der VW Passat stieß nach Abzug der höchsten Abweichung 471 mg/km NOx aus, das 3,7fache des Laborwerts.

„Bei gleicher Fahrweise, also bei gleichen Leistungsanforderung wie im Labor, müssten eigentlich ähnliche Abgaswerte herauskommen“, erklärt Axel Friedrich, Beamter des Umweltbundesamtes im Ruhestand, gegenüber „Frontal 21“ und sagt: „Diese hohen Abweichungen sind physikalisch-chemisch nicht zu erklären“.

„Frontal 21“ hat die Autobauer um Erklärung gebeten. BMW, VW und Mercedes kritisieren den Testaufbau und halten die Messergebnisse im Labor und auf der Straße für nicht vergleichbar. Laut Daimler könne es durch unterschiedliche Temperaturverhältnisse, Fahrzeuglasten und Nebenverbraucher zu entsprechenden Abweichungen kommen. BMW begründet höhere NOx-Emissionen mit „anderen Umweltbedingungen, wie zum Beispiel Temperaturen, Seitenwind, aber auch andere Lasten durch Steigungen oder unterschiedliche Beschleunigungen“. Auch VW weist darauf hin, dass auf der Straße andere Bedingungen herrschten als im Labor, etwa „Luftdruckveränderungen, Wetterverhältnisse oder unterschiedliche Fahrbahnbeschaffenheit“. Auf die Frage, inwiefern die Abschaltsoftware für die hohe Abweichung verantwortlich ist, gibt VW keine eindeutige Antwort.

„Unterschiede bei den NOx-Werten würde ich erwarten“, sagt Prof. Kai Borgeest vom Zentrum für KFZ-Elektronik und Verbrennungsmotoren der Universität Aschaffenburg, „aber eben nicht in der Größenordnung“. Borgeest wörtlich: „Technisch ist denkbar, dass auch die anderen Hersteller, die getestet wurden, Abschaltvorrichtungen in unterschiedlicher Art und Weise verwendet haben – sprich Funktionen der Software, die den Zyklus erkennen. Das wäre dann illegal.“

„Bei der BMW Group wird nicht manipuliert“, stellt BMW gegenüber „Frontal 21“ klar. „Bei unseren Fahrzeugen wird in der Abgasbehandlung nicht zwischen Rollen- und Straßenbetrieb unterschieden“, so BMW. Daimler stellt in seiner Antwort an „Frontal 21“ fest, dass ein „Defeat Device, sprich eine Funktion, die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung unzulässig einschränkt, bei Mercedes nicht zum Einsatz“ komme.

So bleibt die Frage offen, ob außer VW auch Daimler und BMW eine illegale Abschalteinrichtung nutzen. Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe fordert daher Aufklärung von den Behörden: „Das schreit nach einer genaueren Untersuchung“. Resch weiter: „Das Kraftfahrtbundesamt als im Moment zuständige Kontrollbehörde muss diese Information ernst nehmen und eigenständige Nachprüfungen vornehmen.“

Das Bundesverkehrsministerium wollte auf Nachfrage von „Frontal 21“ zu den auffälligen Ergebnissen der Abgasmessungen keine Stellung nehmen.

Hier finden Sie die Prüfberichte zum BMW 320d (ly.zdf.de/76Lyv/), zum Mercedes C200 CDI (ly.zdf.de/GJQ/) und zum VW Passat 2.0 TDI (ly.zdf.de/XRzT/), die von frontal 21 (ZDF) in Auftrag gegeben wurden. Die frontal 21-Sendung vom 15.12.2015: ly.zdf.de/6mXY/.

Quelle: ZDF-Pressemitteilung

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